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 Der Bund der Einsamen - Erzählung des Anfangs 
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Post Der Bund der Einsamen - Erzählung des Anfangs
Genre: Fantasy
Titel: Der Bund der Einsamen
Autor: Glance A'Lot (Autor und Übersetzer)
Stil:  wechselnd!
Absicht:  Dies ist die Übersetzung einer ursprünglich in Englisch geschriebenen Erzählung.  Gibt mir die Option in Deutsch oder Englisch weiterzuschreiben.  
Einstufung:  ohne
Sprache:  Deutsch

[center]Der Bund der Einsamen[/center]

[center]Prolog [/center]

Der Mann zittert.  Es ist kalt hier auf der Höhe des Passes, obwohl die Sonne im Zenith steht und das ferne Tal mit ihrem warmen Licht erfüllt.  Der Aufstieg durch den Canyon war schwierig gewesen, und so beschließt er, eine kurze Rast einzulegen.  Sich fest in seinen fleckigen, blassgrünen Drachenlederumhang hüllend, nimmt er auf einem der von der Sonne erwärmten Felsen Platz.

Er erhebt seine Hände, formt sie zu einer Schale, und beschwört, Worte der alten Sprache murmelnd, eine kleine Wasserkugel, die er geschickt zum Mund führt um seinen Durst zu stillen.  „Die Luft ist trocken hier oben“, denkt er sich.  Aber er ist seiner Großmutter, der Dryade der Weiden, die ihn diesen Wasserzauber lehrte, dankbar, da es ihm erspart Wasser mit sich herumzuschleppen.  Er überlegt, ob er eine weitere Kugel beschwören soll, aber widersteht der Versuchung.  Er hat durch bittere Erfahrung gelernt, dass das Ausschöpfen seiner magischen Kräfte im Allgemeinen mit einer Notlage gestraft wird.  Im Gegensatz zu seiner Großmutter und seinem elfischen Großvater, die die natürlichen Elemente mit Leichtigkeit manipulieren, verlangsamt seine menschliche Seite die Regeneration seiner begrenzten magischen Energie.   Daher muss weiteres Wasser warten.  Weiter talwärts, jenseits der Baumgrenze, wird es leichter sein den Spruch zu wirken.

Er hebt den kurzen Metallstab auf, der neben ihm liegt, und wiegt ihn in der Hand.  Gefertigt von einem zwergischen Schmied,  unauffällig und harmlos wirkend, konnte er zu einer vielseitigen und tödlichen Waffe werden.  Dieser Stab, und das Mithril-Kettenhemd, das er unter seinem Umhang trägt, sind die einzigen Dinge, die ihm sein Halbbruder Lance nach dem Tode ihres Vaters überließ.  Ein Stirnrunzeln überschattet sein Gesicht.  Lance hatte immer nur Verachtung übrig für seinen mischblütigen Bruder, und obwohl er der Ältere ist, wurde der reinblütige Lance der Erbe ihres Vaters.  

Er erhebt sich, und mit sicherem, beschwingtem Tritt beginnt er den Abstieg ins Tal.

Seine Gedanken hängen immer noch der Vergangenheit nach.  Wegen seiner eigenartigen Augen, das Eine hellgrün, das Andere Dunkelbraun, seiner zierlichen Gestalt, verbunden mit der Tatsache, dass er viel langsamer wuchs und reifte als Menschen seines Alters, wurde er zunächst gehänselt und später misstrauisch beäugt.  Nur die Liebe seines Vaters zu seiner Mutter beschützte ihn damals. Als sein Vater dann später diese menschliche Dame heiratete, erleichterte dies sein Leben nicht.  Und als schließlich sein Halbbruder Lance, der lang erwartete Erbe, geboren wurde, ging seine Mutter mit ihm zurück zu ihren Eltern – wegen seiner Ausbildung, wie sie sagte.  Zu seiner Sicherheit, wie sein Großvater, der den Menschen nicht weit traute, später vermutete.  Der Elf übertrieb natürlich, in seiner Bitterkeit über das Schicksal seiner Tochter – Lance und seine Mutter verachteten ihn, aber hatten keinen Grund ihn zu fürchten.  Die örtlichen Priester, die lauthals die ‚Reinheit der Blutlinie’ predigten, waren da schon schwerer zu ignorieren.  

Vaters Begräbnis war das letzte Mal gewesen, da er Lance, der damals gerade erwachsen wurde und aufgrund seiner Fähigkeiten mit dem Schwert den Namen Blitzklinge erworben hatte,  gesehen hatte.  Zu dieser Zeit hatte er selbst noch keinen Namen verdient, obwohl er 30 Jahre älter war als Lance, aber das störte ihn nicht weiter.  Im Gegensatz zu Lance, hatte er Zeit.
Sie hatten kaum miteinander gesprochen; Lance übergab ihm die einzigen zwei Dinge, die sein Vater ihm vererbt hatte - und beiläufig erfuhr er, dass seines Vaters Tätigkeit als Kräutersammler und Händler ein Deckmantel für ungenannte Pflichten im Dienste des Königreichs war.

Mittlerweile hat er die ersten Bäume erreicht und muss sich konzentrieren um nicht die Richtung zu verlieren.  Nach und nach wird die Vegetation dichter und größer.  Bald verschluckt ihn der Wald.  Hier fühlt er sich wohl – Vögel singen, die Bäume sind freundlich, ihre Schatten dämpfen das Sonnenlicht und eine kühle Brise, gewürzt mit dem Aroma des Waldes, durchflutet sie.  „Zeit zu trinken“, sagt er sich.  Er legt seinen Stab ab, beschwört wiederum eine Wasserkugel – größer diesmal – und trinkt.

Plötzlich, aus dem linken Augenwinkel, springt ihn ein dunkler Schatten an.  Instinktiv duckt er sich und rollt über die rechte Schulter ab.  In einer geschmeidigen Bewegung springt er auf, dreht sich und steht, mit gezogenem Dolch, mit dem Rücken zu einem Baum.

Zu seiner Linken wendet sich ein Wolf ihm zu, schätzt ihn mit goldenen Augen ab. Zu seiner Rechten nähern sich ihm vorsichtig zwei Weitere, mit tiefem Grollen, bereit zum Angriff.

“Wölfe”, denkt er, “und große – größer als zu Hause!”  Mit einer schnellen Bewegung entledigt er sich von Umhang und Rucksack.  Die zwei  von rechts springen gleichzeitig.  Dem Einen weicht er mit einem reflexhaften Seitenschritt aus; die Kehle des Anderen schlitzt er mit einem blitzartigen Hieb seiner elfischen Klinge auf.  Etwas trifft ihn im Rücken und er fällt vornüber.  Ein Druck auf seine Schulter, Reißzähne treffen auf sein Kettenhemd.  Ein splitterndes Krachen, ein schmerzerfülltes Heulen, der Druck lässt nach.  Der erste Wolf springt ihn wieder an; er rollt auf den Rücken und versenkt den Dolch tief in dem weichen Bauch.  Er befreit sich von dem schwer verwundeten Biest über ihm und durchbohrt dessen Herz mit einem gezielten Stoß.  Der letzte Wolf zieht heulend, mit eingezogenem Schwanz, ab.

Tief durchatmend prüft er schnell die Umgebung mit seinen elfischen Sinnen nach weiteren Wölfen des Rudels, aber es sind keine in der Nähe. Er schüttelt verärgert seinen Kopf.  Wie konnte er so nachlässig sein?  Auch wenn es ein wundervoller Wald ist, so ist dies doch Wildnis, kein Park.  „Ich muss besser aufpassen“, ermahnt er sich und wischt sich mit dem Handrücken  den Schweiß von der Stirn.  Er hebt seine Ausrüstung auf, schlägt Schmutz und Staub von seiner Kleidung, und ohne einen weiteren Blick auf die Leichen, setzt er seinen Weg fort.  

Obwohl er nun instinktiv seine Sinne wachsam schweifen lässt, schießen Erinnerungen durch seinen Kopf.  Die unablässige Waffenausbildung mit seinem Großvater, der verzweifelte, dass er niemals lernen würde mit dem Bogen umzugehen, nach elfischen Maßstäben zumindest.  Wie die Beherrschung der Stabwaffe ihm endlich den Namen Wirbelklinge einbrachte; wie seine Mutter und seine Großmutter  ihm geduldig, aber beharrlich, halfen seine magischen Fähigkeiten zu entwickeln, obwohl seine niemals den ihren gleichkamen.

Er genießt die Wanderung durch den Wald, der so voller Leben ist, so anders als die felsige Öde oben in den Bergen.  Der Wind frischt auf als der Sonnenuntergang naht, und es wird kühl.  „Zeit sich einen Platz für die Nacht zu suchen“.

Er erreicht ein Gebiet voller Felsen und Steine.  Offensichtlich war vor langer Zeit eine Steinlawine vom Berg herab bis hierher gelangt, wo die Felsen ihre Wucht verloren und zum Stillstand kamen, aufgehalten von den alten Bäumen.  Er umrundet einen massiven Felsblock, der gegen zwei fest im steilen Abhang verwurzelte Bäume lehnt und entdeckt eine dunkle Aushöhlung, knapp über mannshoch, im Schatten des Felsens, die ein Höhleneingang zu sein scheint.  Neugierig nähert er sich.  „Das sieht viel versprechend aus“, denkt er und tritt vorsichtig in den Eingang.

[center]***[/center]


[center]Die Namensgebung[/center]

Ich erstarre als der fremde Gedanke auf meinen Geist trifft.  „Was ist das?  Jemand betritt meine Höhle!“  Das war in Äonen nicht mehr passiert, ich lebte ein einsames Leben seit mein Schöpfer starb.    Selten kamen streunende Abenteurer vorbei, und wenn sie in der Nähe kampierten, schlich ich in der Dunkelheit zu ihnen hin und lauschte ihren Erzählungen am Lagerfeuer.  Aber die Gedanken dieses hier erreichten meinen Geist!  

Leise springe ich zu der Nische, die erlaubt einen Blick auf den Höhleneingang zu werfen ohne gesehen zu werden.  Nur das Licht der untergehenden Sonne lässt den Eingang erkennen.   Die Silhouette ist kaum erkennbar gegen das Licht; meine Augen, so scharfsichtig sie auch sind,  können kaum Einzelheiten erkennen außer einem kurzen Stab, den die Gestalt in der rechten Hand trägt.  Jedoch ich kann ihn riechen – menschlich, irgendwie; männlich, ohne Zweifel.

Ich fühle wie er die Höhle mit elfischen Sinnen erforscht – Sinne, die mich spüren können!

Aufgeschreckt sende ich einen Gedanken, “Wer bist du?”  Überrascht tritt der Mann einen Schritt zurück, sieht sich um, und ich fühle seine Verwirrung.

“Mein Name ist Leaf Wirbelklinge”, sagt er mit lauter Stimme.  „Ich suche einen Unterschlupf für die Nacht“.

Meine Ohren schmerzen, der ungewohnte Lärm irritiert mich.  „Kein Grund so zu schreien – ich höre euch sehr gut!“

Ich fühle Leafs Verwirrung, und ich bin überrascht, “Kann er mich wirklich verstehen?”  Eine Welle der Freude durchströmt mich.  Wie habe ich diesen Moment ersehnt – ein intelligentes Wesen zu treffen mit dem ich kommunizieren kann!

“Liest du meinen Geist?” sendet er vorsichtig in Gedanken.

“Ja!” antworte ich glücklich.  “Deiner ist der Erste in Äonen, den ich lesen kann, und der Allererste, der mich verstehen kann!“

Eine Vielzahl von Bildern durchfluten meinen Geist, während Leaf vergeblich versucht seine Gedanken und Gefühle zu kontrollieren.

“Beruhige dich, bitte, das ist zuviel”, flehe ich.  „Ich will dir nicht schaden – das ist der einzige Weg für mich zu kommunizieren, und ich habe mich mein ganzes Leben nach einem Gespräch gesehnt!“  Ich fühle seine Absicht sich aus der Höhle zurückzuziehen.  „Bitte, geh’ nicht weg!“  Eine Welle der Panik schwappt über mir zusammen aus Angst diese Gelegenheit endlich zu kommunizieren zu verlieren.  

Ich fühle sein Zögern, eine Mischung aus Neugier und Vorsicht… - jedoch keine Angst.  Kurz darauf fühle ich seine Entscheidung etwas Licht auf die Situation zu werfen, und ziehe mich instinktiv in den Schatten zurück.

Eine kleine Lichtsphäre erscheint plötzlich in den Händen des Eindringlings, steigt auf, bleibt oberhalb seines Kopfes schweben, und beleuchtet den Eingang sowie die Vor-Höhle.  Nun kann ich ihn klar erkennen!  
Er ist groß; mein Kopf würde gerade über seine Hüften reichen, von schlanker Gestalt.  Als er die Haube seines grünlichen Drachenleder-Umhangs  mit der linken Hand zurückwirft, erkenne ich langes, dunkles Haar, das zu einem Zopf geflochten ist, ein grünes und ein dunkles Auge, und leicht spitze Ohren, fast wie meine.  Unter seinem Umhang trägt er ein schenkellanges Kettenhemd, lederne Hosen und Stiefel.  Keine sichtbaren Waffen, außer einem Dolch an seiner rechten Seite, und diesem lächerlichen Spazierstock, den er in der rechten Hand hält.

Er schaut sich um, aber im vorderen Teil der Höhle gibt es nicht viel zu sehen.  Ich halte ihn sauber um keine unwillkommenen Besucher anzulocken.  Die Tiere dieser Berge haben vor langer Zeit gelernt, dass es gesünder ist meine Höhle zu meiden.  Ich brauche zwar nicht viel hier draußen, aber ich muss essen, und ich mag Fleisch.

“Wer bist du?” fragt Leaf, jetzt mit leiserer Stimme.  „Zeige dich!“

Ich zögere – Ich weiss, dass wird ein Schock für ihn sein.  Hier ist das erste Wesen, das ich je getroffen habe, mit dem ich mich verständigen kann!  Jede frühere Begegnung mit intelligenten Wesen, außer meinem Schöpfer, führte zum Versuch mich zu töten sobald ich mich zeigte.

“Du wirst mir nichts tun?” sende ich ihm in Gedanken.  Nicht, dass ich Angst vor ihm hätte; ich kann keine Aggression bei ihm spüren.  „Weißt du, ich bin etwas…ungewöhnlich.  Aber ich bin sehr froh auf dich getroffen zu sein, und ich möchte wirklich gerne, dass wir – Freunde werden.  Verstehst du – ich habe im meinem ganzen Leben noch kein Gespräch geführt!“

“Keine Sorge!” antwortet Leaf, immer noch laut sprechend, obwohl das unnötig ist.  „Ich erkenne an, dass dies dein Heim ist.  Ich hege keine bösen Absichten, falls du mich nicht angreifst!  Ich suchte nur nach einem sicheren und trockenen Platz für die Nacht.  Ich hab’ mein eigenes Essen, falls das notwendig ist“.

“Eine höfliche, wohlerzogene und gebildete Person – und er versteht mich!  Endlich habe ich Jemand gefunden!  Wie viele einsame Winter habe ich auf diesen Moment gewartet?  Müssen über dreihundert sein bis jetzt“,  ich überlege, „Ja, 307, seit mein Schöpfer starb“.

“Oh ich habe seltsame Dinge in meinem Leben und auf meinen Reisen gesehen, da gibt es nicht mehr viel, das mich überraschen könnte!” lacht Leaf.  „Komm’ raus und sag’ mir wer du bist!“

Ich zögere – diese erdgebundenen Zweifüßler reagieren so gewalttätig in ihrer Furcht.  Aber ich spüre immer noch keine Furcht in Leaf, nur aufmerksame Spannung – Erwartung.  Also prüfe ich ob meine Flügel sauber gefaltet auf dem Rücken liegen und trete aus der Nische ins Licht seiner Sphäre.

Ich spüre seine Überraschung und seinen Schreck;  seine Reaktion ist instinktiv und schnell – der Mann ist schnell!  Ein Sprung rückwärts, sein silbern schimmernder Stab schnellt in einer wirbelnden Bewegung abwehrbereit vor seine Brust, ein trockenes Klicken, und zwei fußlange, zweischneidige, sehr spitze Klingen springen aus den beiden Enden – nun ist es eine Waffe, und keine lächerliche!

Erschrocken setze ich mich und bewege mich nicht; sorgfältig ein Lächeln vermeidend, denn ich habe beobachtet, dass mein Gebiss Menschen einzuschüchtern scheint, obwohl diese immer die Zähne zeigen, wenn sie freundlich sein wollen.

Wir starren uns an – bewegungslos.  Aus seinem Geist empfange ich sein Bild von mir.  Ein gigantischer – „Gigantisch? ICH?  Er ist größer als ich!”  - schwarzer Wolf mit starren goldenen Adleraugen, einem matt silbernen Drachenschweif und –  Flügeln?

„Ich sagte doch, ich bin ungewöhnlich.  Tatsächlich bin ich ziemlich sicher, dass ich einzigartig bin – und glaube mir, das ist kein einfaches Schicksal“.

Leaf erholt sich von seiner Überraschung, und entspannt.  Ein sanfter Wirbel seines Silberstabes, zweifaches Klicken und die Klingen verschwinden – lose hängt der Stab in seiner Rechten.

“Lasse mich die Frage neu stellen”, sagt er, verwirrt.  „WAS bist du?”

“Mein Schöpfer nannte mich einen Lupogryphen”, antworte ich ihm.  „Er versuchte verschiedene Kreaturen zu machen, aber wie es scheint, bin ich die Einzige, die lebte“.

“Bei der Macht von Pharys, was eine Idee”, stößt Leaf  hervor.

Aber, sage mir, was bist du?  Dein Geruch ist seltsam, ich kann es nicht einordnen, irgendwie menschlich, aber da ist noch was Fremdes.  Wie Wald und Wasser“.  Das hatte mich irritiert, seit er die Höhle betrat.

Leaf ist erstaunt, dann errötet er aus irgendeinem Grund und erscheint unsicher.  „Du hast eine feine Nase!  Ich bin halb Mensch – mein Vater war ein Mensch und meine Mutter ist eine Elf-Dryade“.

“Also ist dein Vater kein Mensch mehr?” frage ich neugierig.

“Nein, mein Vater ist tot.  Menschen sind eine kurzlebige Rasse, viel kürzer als Zwerge und insbesondere Elfen oder Dryaden, die sehr lange leben, es sei denn sie werden durch Gewalt getötet.  Ich bin sehr alt für einen Menschen, aber noch jung für einen Elfen.  Und du?“  Er zögert, und denkt, „Warum, bei den Geistern der Natur, erzähle ich – es - das?

“Wie lange hast du schon hier gelebt?” fragt er.

“307 Winter seit mein Schöpfer starb, 43 Winter mit ihm nachdem ich das Bewusstsein erlangte, aber ich weiß nicht wie lange vor dieser Zeit“.  Ich fühle Leafs Erstaunen und Mitgefühl.

“350 Jahre ohne Verbindung mit einem intelligenten Wesen!”

„Zuerst war es nicht so schlimm.  Ich konnte den Geist meines Schöpfers lesen, und mit der Zeit sog ich viel von seinem Wissen auf.  Aber er konnte meinen Geist nicht erreichen, und war sehr enttäuscht, dass er nichts mit mir anfangen konnte.  Nachdem er mich geschaffen hatte, verlor er dass Interesse an mir, und versuchte die Erschaffung einer geistigen Form.  Aber er scheiterte.  Nach seinem Tod begann ich umher zu wandern, aber wann immer mich Jemand sah, versuchte man mich zu jagen und zu töten – so lernte ich versteckt zu leben.  Zwar fand ich Leute deren Geist ich lesen konnte, aber niemals einen, der den Meinen erreichen konnte – bis zu dir“, sende ich an Leafs Geist.


“Faszinierend”, sagt Leaf.  Und nach einer Pause, “Du hast nicht zufällig eine Feuerstelle und etwas Wasser?  Es wird kalt, und ich denke, es gibt keinen Grund die ganze Nacht hier zu stehen“.

“Hinten ist ein Quell mit klarem Wasser, mein Schöpfer machte dort immer Feuer.  Gehen wir!“.  Ich wende mich um und führe ihn hin.

Im hinteren Teil der Höhle ist tatsächlich eine Quelle, ein gemauerter Ofen, und ein paar verstreute Kohlestücke, für die ich nie Verwendung hatte.  Neugierig beobachte ich wie Leaf etwas Kohle in den Ofen steckt, eine kleine Flamme in seiner rechten Hand beschwört und  die Kohle anzündet.  Als er seinen Umhang ablegt, kommt ein kleiner Rucksack zum Vorschein, aus dem er einige Fruchtkekse nimmt.  Ich lehne sein Angebot zu teilen ab, hole mir ein Stück Eberfleisch, das ich in einer Ecke zurückgelegt hatte.

Wir sitzen vor dem Ofen, betrachten uns gegenseitig, essen still und Leaf versucht angestrengt an Nichts zu denken.  Aber seine Neugier lässt ihn mich betrachten, und ich kann sehen wie in seinem Geist  die Bilder des schwarzen Federnschopfes auf meinem Kopf, meiner schwarzen Flügel, des silbernen Streifens aus Drachenschuppen auf meinem Rücken, der mit dem schwarzen Fell meines Wolfskörpers kontrastiert, und meines Drachenschwanzes entstehen.  Die ganze Zeit versucht er den starren Blick meiner Adleraugen zu vermeiden, die jede seiner Bewegungen beobachten.  Nach einer Weile gibt er auf.

“Du kannst wirklich alle meine Gedanken lesen?” denkt er, unsicher fragend.

“Gedanken, die du an mich richtest – ja, ganz klar”, antworte ich.  „Deine Gefühle und was du siehst, kann ich ebenfalls fühlen.  Ob das alle deine Gedanken sind, kann ich nicht sagen“.

“Ich kann dich in meinem Kopf hören”.  Leaf spricht wieder, das scheint ihm leichter zu fallen.  „Aber ich kann nicht deine Gedanken oder Gefühle lesen“.

“NUN, bis vor kurzem wusstest du nicht, dass du überhaupt andere Gedanken empfangen kannst,  oder dass Jemand die deinen lesen kann.  Ich hatte Jahrhunderte zum üben – vielleicht kannst du es lernen?“

Leaf überdenkt das, nickt, aber ist immer noch unsicher bei dem Gedanken sein innerstes Selbst mit einer Kreatur unbekannter Herkunft und unbekannten Absichten zu teilen.  „Ich habe Geschichten gehört von großen Zauberern, die fremde Geister lesen können, sie sogar beeinflussen können, aber ich habe nie Jemand getroffen, der das konnte“.

“Übrigens”, fragt er plötzlich, “wie ist eigentlich dein Name?”

“Name?” frage ich überrascht.  “Ich habe keinen Namen.  Mein Schöpfer gab mir nie einen.  Wofür sollte ich das brauchen?  Ich bin…ich“.

“Ja, aber wie soll ich dich nennen?  Du bist sicherlich eine magische, intelligente…“ Er unterbricht, und ich sehe ein zögerndes „Person?” sich in seinem Geist formen, aber er fährt fort, “…Wesenheit.  Du solltest einen Namen haben!“  

“Nun, dann gib mir einen!”

Leaf lehnt sich zurück und nimmt ein gebogenes Stück Holz aus seiner Tasche, füllt es mit aromatischen Kräutern, und entzündet diese indem er eine Flamme beschwört.  Sein Geist ist völlig leer während er sich darauf konzentriert.  

„Interessant!“ denke ich.  

Er saugt an dem dünnen Ende des Holzes und haucht einen kleinen Rauchring gegen die Decke, wo die Lichtsphäre, die er beschwor, immer noch schwebt, direkt über ihm.

„Was machst du?“  Es könnte Magie sein, aber ich spüre keine, noch kann ich irgendeinen Effekt sehen außer dem aromatischen Rauch, der in meiner Nase kitzelt.

“Das”, sagt Leaf, und hält das Holz hoch, “ist eine Pfeife.  Ich rauche.  Nichts Besonderes – es ist nur zum Vergnügen, und es schmeckt.  Außerdem hilft es mir zu entspannen und zu denken“.

“Pfeifen kenne ich – aber ich kann nichts hören”.

Leaf lächelt.  “Pfeifen mit Geräuschen sind etwas Anderes, aber du hast Recht verwirrt zu sein;  die Bezeichnung ist gleich, aber der Zweck ganz unterschiedlich“.

Ich bekomme entschieden das Gefühl, dass er versucht die Namensfrage zu vermeiden.
„Was ist nun mit einem Namen?“ beharre ich.

“In meiner Kultur wird ein Namen zum Teil von den Eltern gegeben, das ist in meinem Fall ‘Leaf’, und zum anderen Teil verdient durch Taten, wenn man erwachsen wird – so wurde ich ‘Wirbelklinge’.”  Er pafft weiter an seiner Pfeife, der Duft von Nüssen und Honig erfüllt langsam die Höhle, und betrachtet mich wie ich flach auf dem Bauch vor ihm liege.  Er denkt, „Bist du männlich oder weiblich?“  

Ich überdenke dies – so weit ich mich erinnere aus dem Gedächtnis meines Schöpfers, nahm er einen männlichen Wolf, einen weiblichen Adler, und  das Gehirn einer magischen Kreatur an die ich keine Erinnerung habe.  „Also, was macht das aus mir?“  Aber dann denke ich an die funktionellen Teile meiner Anatomie, und antworte, „Ich bin männlich“.

“Männlich!”  Leaf nickt.  “Was war der Name deines Schöpfers?  Das ist wohl das was ‚Eltern’ am Nächsten kommt in deinem Fall“.

“Der Name des Schöpfers?”  Ich suche tief in meinem Gedächtnis.  “Ja, er hatte einen Namen, aber da wir alleine lebten, dachte er selten daran – aber, ich erinnere mich – da war ein Besucher, vor langer, langer Zeit, der nannte ihn – Astorath“.

„Nun – angesichts dessen was er tat, ist es vielleicht doch keine gute Idee seinen Namen zu nehmen“, überlegt Leaf.

“Was er tat?  Indem er mich schuf?  Was ist verkehrt daran?“

“Wesen zu erschaffen ist Blasphemie in meiner Welt”, erklärt Leaf.

Das verstehe ich nicht.

„Vergiss es – es ist nicht dein Fehler, und es ist getan“, versucht Leaf mich zu trösten.

Leafs Pfeife hat aufgehört zu brennen und er leert die Asche in die Feuerstelle.  Dann beugt er sich vor, scheut in meine Augen, betrachtet meine Gestalt.
„Weisst du, auf eine Art bist du schön“, sagt er, und murmelt „schwarz und silbern – Nacht und Tag; nein – silbern ist das Licht des Mondes.  Wolf, Adler, Drache – Erde, Luft, Feuer“.  Er schüttelt verwirrt den Kopf.  “Hast du magische Fähigkeiten?”  

“Magie?  Nein.  Wie könnte ich?  Ohne Möglichkeit einen Zauber zu sprechen, ohne Hände die magische Aura zu manipulieren.  Aber ich kann Magie spüren, ich fühle sie, und weiss ob sie aktiv ist, oder passiv“.  Nach einigem Überlegen ergänze ich,„Ich scheine immun gegen sie zu sein.  Ich traf mal auf einen Magier, der wirkte Feuerbälle auf mich, obwohl ich ihn wirklich nicht fressen wollte.  Die Feuerbälle lösten sich auf, bevor sie mich trafen.  Und dann versuchte er es mit Blitzen und diese verletzten mich ebenfalls nicht, obwohl er mich nicht verfehlen konnte“.  Ich muss lachen in Erinnerung an den Magier in Panik, und Leaf zuckt bei dem grollenden Geräusch zusammen.  „Andererseits flog ich mal durch ein Gewitter, ein Blitz traf mich – das tat weh!  Ich fiel bewusstlos vom Himmel, in einen See, in dem ich glücklicherweise schnell wieder wach wurde und an Land schwimmen konnte“.

Leaf reibt sein linkes Ohr.  „Bei der Macht von Pharys!  Also können natürliche Blitze und Waffen…“  unbewusst streicht er über eine kleine Narbe an meiner Schulter, wo mich ein Pfeil traf – ein seltsames Gefühl durchströmt mich bei diesem neuen Gefühl einer sanften Berührung.  „…dich verletzen – aber Magie nicht.  Verheilte das gut?”

“Oh ja!  Ich blute niemals lange, wenn ich verletzt werde.  Die Wunden schließen sich fast sofort, und nach einer kurzen Rast fühle ich fast nichts mehr davon“.

“Das ist ohne Zweifel Magie!” sagt Leaf.  „Du kannst mehr als du denkst, aber es ist in  deiner Natur, nicht bewusst.  Ich frage mich, was du mit etwas Ausbildung erreichen könntest“.

Er schließt die Augen.  „Ich bin müde“, denkt er.  “Ich werde später über deinen Namen nachdenken.  Ich muss ruhen“.  Er legt sich zurück, lagert seinen Kopf auf seinem Rucksack und bedeckt sich mit seinem Umhang.  Er schläft ein und die Lichtsphäre über ihm verblasst.  Dunkelheit herrscht wieder in der Höhle.

Ich lege meinen Kopf bequem auf meine Pfoten, kann aber lange keine Ruhe finden, in meinem Geist wirbeln Gedanken und neue Eindrücke.  Während Leaf tiefer in den Schlaf fällt, verblassen seine Gedanken, und schließlich schlafe ich ein.

Als die Sonne aufgeht am nächsten Morgen, und die Vögel wieder zwitschern, wachen wir auf.  Es ist immer noch dunkel in der Höhle, da des Morgens kein Licht in den Eingang dringt, nur die Geräusche des erwachenden Tages erreichen unsere Ohren.

Leaf erhebt sich und packt seine Sachen zusammen.  Er bewegt sich sicher in der Höhle, und nimmt etwas Quellwasser um zu trinken und sich zu waschen.

“Du siehst gut im Dunkeln”, beobachte ich.

“Ich habe elfische Sinne”, antwortet Leaf laut, und fährt in Gedanken fort, “Also war es doch kein Traum, du existierst wirklich“.

Ich beschließe diese dumme Bemerkung zu ignorieren – „Natürlich existiere ich“, denke ich bei mir.

“Lass uns hinaus gehen”, schlägt Leaf vor.

Als wir bequem vor der Höhle sitzen, und den frühen Morgenwald genießen, betrachtet mich Leaf mit erneutem Interesse.
„Du bist wirklich ein faszinierendes Wesen“, sagt er.  „Du weißt natürlich, dass ich einen Traum hatte, der mir eine Idee gab für deinen Namen“.

“Nein”, denke ich, gespannt und neugierig auf die Aussicht einen Namen zu erhalten.  „Als du einschliefst, waren deine Gedanken weg“.

„Ah – also ist der schlafende Geist jenseits deiner Reichweite!“  Leaf scheint erleichtert.

Plötzlich versteift er sich, seine Elfensinne schweifen in die Umgebung und er greift nach seinem Stab.  „Es sind Wölfe dort im Wald“, denkt er, in die Richtung des Rudels starrend.

“Keine Angst, sie wissen, dass es besser für sie ist nicht näher zu kommen!”  Und mit einem tiefen, drohenden Heulen vertreibe ich sie.

“Du kannst ihre Auren auch spüren”, sagt Leaf erstaunt.
 
“Natürlich”, antworte ich irritiert.  “Was ist jetzt mit deinem Traum – wegen eines Namens für mich?”  Ich kann meine Ungeduld kaum zügeln, bin gespannt wie eine Bogensehne.
 
Leaf beginnt, „In den alten Legenden der elfischen Rasse, aus der Zeit kurz nachdem das alte Volk das Land verließ um in das Land im Sonnenuntergang zu ziehen, und die neun Könige diese Welt regierten, noch bevor sie die unheimlichen Mächte der…“

“Komm’ zum Punkt!” unterbreche ich ihn mit einem dumpfen Grollen.

“Das ist eine ernste Sache!”  Leaf schaut streng.  „Namen gibt man nicht leichtfertig, und du solltest den Hintergrund und die Herkunft deines Namens verstehen, denn durch ihn wird man sich für immer an dich erinnern!  Außerdem bist du ein altes, einzigartiges und magisches Wesen, daher sollte dein Name aus der alten Sprache kommen“.

“Bitte!  Sag’ – es – mir - einfach!” knurre ich und starre ihm in die Augen bis er den Blick senkt.
 
Leaf lächelt, und mit feierlicher Stimme sagt er, “ Weil deine Farben schwarz, wie die Nacht, und silbern, wie das Mondlicht, sind und der Silberstreifen auf deinem Rücken wie der Pfad des Mondes am Nachthimmel ist, nenne ich dich Isíl – der elfische Name des Mondes.  Und weil du dem Gefährten eines alten Helden ähnelst, einem Wolfshund, der dreimal in seinem Leben sprechen konnte, und außerdem so lange allein warst, nenne ich dich Eresséan – der einsame Wolf.  Dein Name sei Isíl Eresséan von jetzt an, in alle Ewigkeit!“

“Isíl Eresséan?”  Ich mag den Klang des Namens, und ich mag den Mond, Begleiter meiner nächtlichen Wanderungen.  „Ich habe einen Namen!“  Ein seltsames Gefühl.  Ich fühle ein neues Selbstbewusstsein.  Ich breite meine Flügel aus, und fliege zum Himmel auf – und dann lasse ich ein langes, lautes Heulen weit über den Wald erklingen:
 
“Ich bin Isíl Eresséan!”

[center]***[/center]


[center]Der Bund[/center]

“Isíl!” ruft Leaf in seinem Rücken nachdem er gelandet war.  Isíl dreht sich ihm zu und denkt, “Ja Leaf?”

“Gut!” sagt Leaf, “Du musst dich daran gewöhnen auf deinen Namen zu hören, wenn Jemand dich ruft, und entscheiden ob und wie du darauf reagieren willst.”

“Was meinst du damit, ob ich reagieren will? Reagierst du nicht immer, wenn Jemand dich beim Namen ruft?”  fragt Isíl staunend.

“Ich kann mir eine Reihe von Situationen vorstellen in denen auf meinen Namen zu reagieren das Letzte wäre woran ich denken würde”, sagt Leaf mit einem amüsierten Lächeln.

“Oh – Ich sehe”, denkt Isíl, woraufhin Leaf, peinlich berührt, errötet.

Im Bemühen seine Gedanken auf etwas Anderes zu konzentrieren, fragt Leaf, „Gibt es irgendetwas von deinem Schöpfer, das uns einen Hinweis auf seine Herkunft oder seine Absichten geben könnte?“

“Hinten in der Höhle, bei seinem Schlafplatz ist eine Kiste.  Der magische Schutz, der sie sicherte, schwand vor langer Zeit, aber ich habe sie nie berührt, da ich wusste, dass sie nichts von Wert für mich enthält“, sendet Isíl.  „Ich zeig’ sie dir, vielleicht kannst du ja was brauchen“.

Sie kehren in die Höhle zurück, wo Leaf wieder die Lichtsphäre beschwört um klar sehen zu können.  Isíl trottet voraus, seine Klauen kratzen leicht über den nackten Felsenboden, sein Körper windet sich geschmeidig fließend um die Ecken.  Leaf folgt Isíls schwingendem, leuchtend weißem Schwanz zu einem Alkoven tiefer im Berg, der offensichtlich von fähigen Handwerkern erweitert worden war.  Er schaut sich um.  

In den Steinwänden, die Leafs Licht in verschiedenen Grauschattierungen reflektieren, sind, jetzt verrostete, Metallringe eingelassen; wovon einige noch schwarze, gusseiserne Öllampen tragen.  Zu seiner Linken verrottete Überreste, kaum noch als Bett und Buchregale erkennbar, die wohl aus einem dunklen Holz gezimmert waren.  Ein tischhoher Absatz, mit einer einst polierten Obsidianplatte gedeckt, nimmt die ganze rechte Seite ein.  Auf ihr liegt ein unglaubliches Durcheinander von Flaschen und Tiegeln in den verschiedensten Farben und Größen, Laborgeräten sowie Werkzeugen.  Einige der hölzernen Regale an der Wand über der Platte waren herab gebrochen, und ihr gesamter Inhalt hatte sich über die einst wahrscheinlich geordnete Arbeitsfläche ergossen.  Nun bedeckt eine dicke Lage aus Staub und Spinnenweben das Ganze.  Die Luft ist schal, ein Geruch von Moder und Verwesung erfüllt den Raum.

In der hinteren Wand ist eine Nische, aus dem massiven Fels geschlagen, in der eine feste Kiste mit Metallbeschlägen steht.  Die Nische ist etwa hüfthoch über dem Boden, so dass man sich das Bücken spart, wenn man die Kiste öffnet.  Das Ganze erinnert Leaf eher an eine Gefängniszelle als an einen Platz für ein komfortables Leben.  

„Es müsste mehr Bücher geben“, bemerkt Leaf als er die zusammengebrochenen Teile zur Linken überschaut, und keine Reste davon entdeckt.

“Kurz bevor er starb sandte der Schöpfer einen Stapel mit einem vorbeiziehenden Händler fort”, erinnert sich Isíl.  „Jetzt, wo du es sagst, der Händler hat normalerweise immer welche mitgebracht, aber nicht dieses letzte Mal – er kam auch nicht sehr oft“.

„Der Schöpfer hatte also Verbindungen nach draußen“, notiert Leaf in Gedanken.

Leaf tritt an die Kiste und betrachtet sie misstrauisch.  Sie sieht erstaunlich gut erhalten aus, offensichtlich nicht durch Transport oder Gebrauch im Freien abgenutzt.  Jetzt aber ist sie mit einer Staubschicht bedeckt, die das schwarze Holz grau erscheinen lässt, und die Metallbeschläge zeigen Spuren von Rost.  Keine Aufschrift, keine Dekorationen sind zu sehen – es ist nur eine schlichte Kiste, groß genug um von zwei Mann getragen werden zu müssen.  „Du bist ganz sicher, dass die schützende Magie nicht mehr aktiv ist?“ fragt er den Lupogryphen.

“Ja, kein Zweifel”, antwortet Isíl.  „Sie verblasste kurz nach dem Tod des Schöpfers, so ungefähr nach 30 Wintern, ich erinnere mich nicht genau“.

Leaf zieht seinen Dolch, was Isíl instinktiv die Muskeln spannen lässt, aber Leaf beachtet ihn nicht, sondern konzentriert sich ganz auf das Öffnen der Kiste indem er das rostige Schloss aufhebelt.  Mit einem lauten Schnappen bricht es auf und Leaf hebt vorsichtig den Deckel.  Zu seiner Überraschung bewegen sich die Gelenke ganz leicht und ohne ein Geräusch.  

Er steckt den Dolch in seine Scheide, löst damit Isíls Spannung ohne es zu bemerken, und schaut in die Kiste.  Ein paar einfache Roben von unbestimmbarer Farbe, die zu Staub zerfallen, als er sie herausnimmt; ein in rohe Eberhaut gewickeltes Päckchen; ein in geöltes Pergament gehülltes Buch; eine Ansammlung billigen Bestecks; zwei Messer auf deren Schneide man zum Mond und zurück reiten könnte, ohne sich zu verletzen – das ist Alles.

Leaf nimmt das Päckchen und das Buch, schaut sich ein letztes Mal um, aber da er keinen Platz findet sich zu setzen, wendet er sich an Isíl und – „Ja, Leaf, lass uns draußen sitzen“, stimmt der Lupogryph zu.  Leaf holt tief Luft.  „Deine Art meine Gedanken zu lesen bevor ich ein Wort gesprochen habe,  ist irritierend“.

“Dass du schnell denkst und langsam sprichst auch – alles erreicht mich zweimal!” antwortet Isíl und trottet zum Höhleneingang.

Als sie es sich draußen in der Sonne bequem gemacht haben, packt Leaf zuerst das Buch aus.  Wie es sich herausstellt, ist es kein gebundenes Buch, sondern ein hellbrauner Lederumschlag, der mit einer schwarzen, geflochtenen Schnur zusammengebunden ist und einen Stapel loser Pergamente enthält auf die Notizen gekritzelt sind.  Die Schrift ist schwer zu entziffern, nicht nur weil die Tinte teilweise verblasste – es scheint eine Sammlung von Forschungsnotizen und eine Art Tagebuch zu sein, wie Leaf beim Durchblättern feststellt.  

Fasziniert fängt Leaf an zu Lesen, ohne daran zu denken, dass Isíl in seinen Gedanken mitliest.

...Leute, die behaupten mit Drachen gesprochen zu haben, berichteten, dass deren Stimmen tief, mit einem leichten Zischen unterlegt, sind.  Jedoch, nach Nardo Leovinci, dem Wahrheitssuchenden, haben Drachen keinerlei Organe, die es ihnen erlauben würden, eine für Menschen hörbare Stimme zu produzieren.  Er behauptet, dass Drachen untereinander auf einer mentalen Ebene kommunizieren, die es ihnen erlaubt die Gedanken intelligenter Wesen zu lesen.  Das ist wohl der Ursprung der Legende, dass man einen Drachen nicht belügen kann…

Leaf überspringt ein paar unleserliche Zeilen.

…das aus dem Drachenei geschlüpft ist, ist sehr schwach;  ich fürchte es wird nicht lange leben.  Ich habe einen Plan es in anderer Form zu erhalten.  Ich darf es nicht verlieren, ich werde nie wieder ein anderes Ei finden.  Menschen, die Drachen züchten, eine Aussicht, die aufzugeben außer Frage steht...

...fand einen  Wolfswelpen, der geeignet scheint das Hirn des Drachens aufzunehmen...


...pflanzte das Hirn des Drachens in den Wolf und fügte die Flügel eines Adlers hinzu, da Drachen fliegen können sollten.  Ich musste auch Hirn, Augen und Schädeldecke des Adlers hinzufügen, da die Augen des Wolfes bei dem Öffnungszauber zerschmolzen...

...die Schädelknochen waren nicht groß genug die drei Hirne aufzunehmen, so pflanzte ich das Drachenhirn getrennt in...

Leaf schaut auf.  “Weißt du…” beginnt er.  “Ja, ich lese mit dir in deinem Geist”, sendet Isíl.    Leaf seufzt und liest weiter.

...der Verschmelzungsprozess…erfolgreich.  Der Lupogryph lebt...

...ist fehlgeschlagen.  Der Lupogryph ist gesund und wächst; jedoch ist kein geistiger Kontakt mit ihm möglich.  Der Drachenteil entwickelt sich offensichtlich nicht, und ist verloren.  Es ist nun nicht mehr als ein fliegender Wolf, gut genug mein Versteck zu bewachen und die Wildtiere zu...

...ich muss die Neuigkeit den anderen Mitgliedern des Oktagon Tempels…hörte, dass die Mächte des Hexagon Turms planen...

...der Fokus ist vollständig, doch zwecklos, da der Drache benötigt wird um ihn zu aktivieren, und die geistige Kraft des Drachens ist für immer in dem geflügelten Wolf verloren.  Ich werde ihn aufheben für den Fall dass ein anderes Drachenei...

Es gibt noch mehr Seiten; zum Teil sogar besser erhalten  - jedoch in einer Sprache geschrieben, die Leaf nicht kennt.  Er schließt den Umschlag, und denkt, „Wenige Antworten und eine Menge weiterer Fragen“.

“Isíl?” ruft er leise, aber Isíl reagiert nicht – scheint geistesabwesend, in seinen Erinnerungen verloren.

“Also hat mein Schöpfer beabsichtigt mit mir im Geiste kommunizieren zu können.  Er hat niemals erfahren, dass seine Schöpfung kein vollständiger Fehlschlag war – weil es Zeit brauchte sich zu entwickeln, Zeit, die er nicht in Betracht zog.  Warum glaubte er nicht an sich selbst?  Warum vertraute er den Ergebnissen seiner langen Studien nicht?  Warum war der Fehlschlag für ihn wahrscheinlicher als der Erfolg?  Warum war er so ungeduldig?

„Ich glaube, weil er menschlich war“, antwortet Leaf dem verwirrten Isíl, der momentan vergessen hatte, dass er mit seinen Gedanken nicht mehr allein ist.  „Das ist charakteristisch für Menschen – vor allem Wissenschaftler und Forscher neigen ständig zu Zweifeln, Fragen und Misstrauen zu ihren Funden.

Er bindet den Umschlag wieder zu und wickelt ihn in das geölte Pergament.  Dann rollt er das Eberhautpaket auf.  Darin findet er ein Tuch, ein schwarz schimmerndes Gewebe, das sich weich und glatt anfühlt.  Als er es entfaltet, entfährt ihm ein erstauntes Pfeifen.  

Auf dem schwarzen Tuch liegt eine Kette aus massivem Mithrilsilber, im Licht der Morgensonne funkelnd.  Sie ist stark und fest gearbeitet und trägt einen wunderschönen grünen Stein, in eine achteckige Form geschliffen und gefasst.  Leaf betrachtet den Stein genauer – er ähnelt einem, viel kleineren, Stein, den ihm sein Vater einst zeigte.  Der Stein kam aus den Drakenzähnen, den Feuerbergen im Süden.  Nach seinem Vater wurden diese Steine im Feuer der Vulkane geschaffen – er nannte ihn einen Peridot.

“Enthält das Magie?” fragt Leaf.  Isíl nähert sich und betrachtet das Juwel, berührt es sogar mit seiner Pfote.  „Nein, ich kann nichts spüren“.

Leaf wiegt die Kette in seiner Hand und überlegt.  „Ich glaube der Schöpfer hat dies für dich gemacht.  Zu irgendeinem Zweck, aber das ist jetzt unwichtig.  Trotzdem, denke ich, solltest du es tragen, denn es wird dich von den Wildtieren unterscheiden – vielleicht werden manche erstmal überlegen, wenn sie es dich tragen sehen, bevor sie dich angreifen.  Manchmal ist Neugier größer als Furcht, und Menschen sind gewöhnlich sehr neugierig – aber auch gierig“.  Er überdenkt das Risiko seines letzten Gedankens, zuckt dann aber mit den Achseln – Isíl sagte, dass sie ihn bisher, ohne dies,  immer angriffen, also wäre jede Änderung ihrer Haltung eine Verbesserung.

Er beugt sich vor und befestigt die Kette an Isíls Hals.  Sie passt perfekt.  Der silberne Schein kontrastiert mit dem schwarzen Fell und der Stein leuchtet grün unterhalb seiner Kehle.  Das ungewohnte Gewicht um seinen Hals irritiert Isíl.

“Glaubst du wirklich, dass das notwendig ist?  Es drückt!“

„Du wirst dich schnell daran gewöhnen, und dann wirst du es gar nicht mehr spüren“, versichert ihm Leaf.

“Wozu soll es gut sein?  Es wird mich nicht schützen, da es keine Magie hat – und du sagtest selbst, dass es Leute gierig machen kann.   Was meinst du übrigens mit gierig?"  

"Es ist wertvoll – man kann andere Dinge im Tausch für es bekommen“, versucht Leaf zu erklären. „und einige Leute könnten versuchen es dir wegzunehmen.  Andererseits siehst du Furcht erregend genug aus, so dass Jeder sich das wohl zweimal überlegen wird.  Für die Meisten wird es ein Zeichen sein, dass du kein wildes Tier bist, Tiere tragen keinen Schmuck“.

“Und wenn ich es verliere?  Es könnte brechen während ich durch den Wald streife – dann wäre es für immer verloren!“

“Es ist fest!  Aus demselben Material gemacht wie mein Panzer, siehst du – es bricht nicht leicht.  Außerdem habe ich das Gefühl, dass es einen Zweck hat, dass es etwas bewirken soll.  Es muss nur aktiviert werden – und an deinem Hals ist der beste Platz für dich um zu erkennen ob es sich verändert“, beharrt Leaf.

Isíl schnaubt, dreht sich im Kreis, schüttelt erst seinen Kopf, dann seinen ganzen Körper, kratzt sich vorsichtig mit der Hinterpfote am Hals.  Schließlich kommt er zu der Erkenntnis, dass es lose genug ist ihn nicht zu stören.  So stimmt er zu es zu tragen.

“Und was machen wir nun?“ fragt er.  

„Wir?“  Leaf betrachtet den Lupogryphen.  „Du willst nicht hier bleiben?“

„Jetzt, wo ich nach so langer Zeit endlich Jemand gefunden habe, mit dem ich mich verständigen kann?  Bitte – verlass mich nicht!“

Leaf denkt an seine eigene Jugend, die Hänseleien, die ihn oft einsam sein ließen, und an die Verachtung, die man ihm wegen seiner gemischten Herkunft entgegenbrachte.  Er fühlt eine tiefe Verbundenheit mit diesem einzigartigen Wesen.

„Nun, ich kann nicht hier bleiben – aber…“, er zögert kurz, bedenkt die Gefahren, verwirft sie aber wieder, und denkt an die Möglichkeiten, die eine solche Begleitung mit sich bringen könnte.  „...du kannst mit mir kommen, wenn du das wünscht.  Aber ich warne dich – wir werden auch in besiedeltes Gebiet müssen, wo Regeln gelten, die du nicht kennst, und Gefahren lauern, die dir unbekannt sind“.

Isíl lässt seinen Blick über den ihm vertrauten Wald schweifen, der seine Heimat ist, in dem er jeden Baum und jedes Tier kennt.  In dem diese gelernt hatten ihn zu respektieren, und ihn in Ruhe zu lassen.  Sein Leben wird nie wieder das Selbe sein, ist ihm bewusst – so oder so nicht.  Seine Entscheidung ist schnell gefasst – und wenn es ihn das Leben kostet, alles ist besser als wieder in der Einsamkeit leben zu müssen.

„Ich möchte mit dir gehen – und lernen in der Welt zu Recht zu kommen – und erkennen was mein Schicksal ist“.

Leaf packt das Buch, das Tuch und die Eberhaut in seinen Rucksack.  Er schaut zur Sonne empor - es ist bald Mittag.

"Gut!" sagt er, und in Gedanken fügt er hinzu, "Schauen wir, was das Schicksal für uns bereit hält!"


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